Wir radeln! Wie ich mein Kind sicher durch den Stadtverkehr führe
Joachim Schalke arbeitet bei der Polizei Köln und ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer. Als ehemaliger Verkehrssicherheitsberater trainierte er lange Jahre mit Kindergarten- und Schulkindern das sichere Verhalten im Straßenverkehr zu Fuß und mit dem Fahrrad. Wir sprachen mit ihm über die Schwierigkeiten im Stadtverkehr, die perfekte Ausrüstung für das Kinderfahrrad und die Notwendigkeit der frühen Gewöhnung an zwei Räder.
MamiConnection: Viele junge Eltern sind unsicher, wann der richtige Zeitpunkt kommt, ihr Kind in einer Stadt wie Köln auf das Laufrad oder Fahrrad zu setzen. Warum sollte man dennoch mutig sein und sein Kind früh an zwei Räder gewöhnen?
Joachim Schalke: Es gibt die Beobachtung, dass es heutzutage unter Kleinkindern kognitive und motorische Defizite gibt. Man kann diesen Defiziten mit der frühen Gewöhnung an zwei Räder entgegen wirken. Aber wichtig ist, dass wir das dosiert machen und auf Augenhöhe mit den Kids. Wir dürfen sie nicht überfordern. Am besten suchen wir uns ruhige Schonräume zum üben, abgeschirmt von den Gefahren und dem Lärm des Stadtverkehrs. Ich empfehle, sich dem Thema spielerisch zu nähern.
Laufrad, Dreirad oder Roller – schon die Allerkleinsten haben viele Möglichkeiten, sich auf zwei oder mehr Rädern vorwärts zu bewegen. Wie begleite ich die ersten Fahrversuche richtig?
Es gibt kein Patentrezept. Es gibt nur Erfahrungswerte und Ideen. Wichtig ist, sie erst einmal mit dem Fahrzeug an sich vertraut zu machen.
„Wir dürfen nicht den dritten vor dem ersten Schritt machen.“
Spielerisch zu mehr Sicherheit lautet ein Verkehrssicherheitskonzept von Kollegen, die sich dem sicheren Weg zur Kita gewidmet haben. Wichtig ist, entschleunigt, möglichst in Ruhe und methodisch hinreichend handlungssicher damit umzugehen. Wenn die Kinder Freude am Laufrad entwickeln, werden sie unweigerlich schneller. Da muss ich letztlich als Elternteil eine Risikoanalyse machen. Wie gefährlich ist das jetzt gerade für mein Kind. Die Räume, die wir nutzen wollen, müssen wir kennen. Und da hilft der gesunde Menschenverstand weiter und auch unsere Erfahrung als Autofahrer und Radfahrer.
Wie sieht das ganze mit einem fahrradfahrenden Kind aus? Wie begleite ich es (selbst auf dem Fahrrad sitzend) sicher durch den Stadtverkehr und wann darf ein Kind mit welchem Fortbewegungsmittel auf die Straße?
Ich empfehle, dass das Kind vor dem Erwachsenen fährt. Das widerstrebt dem Kind zunächst, denn es möchte gerne hinterherdackeln, wie ein Entchen seiner Entenmama. Hinten habe ich es aber nicht im Blick. Ich muss auch den Verkehr überblicken, muss meine Sinne schärfen und Entschlossenheit an den Tag legen. Im Grunde muss ich als Elternteil Gefahrensucher werden. Und erst, wenn Kind und Elternteil als Team funktionieren, klappt das auch im Stadtverkehr. Das alles hat ganz viel mit der kognitiven Leistungsfähigkeit des Kindes zu tun. Ein Beispiel: Erst mit 12 Jahren können Kinder Geschwindigkeitsunterschiede erkennen und im Sinne der eigenen Gefahrenanalyse nutzen. Ein Überholvorgang ist ja sehr komplex. Ich muss die eigene Geschwindigkeit einschätzen, die des Gegenverkehrs und die des zu überholenden Verkehrsteilnehmers.
„Kinder haben ein geringeres Sichtfeld als Erwachsene.“
Frühestens im Alter von 8-10 Jahren sehen sie ähnlich viel wie wir Erwachsene. Und Kinder können nur eine Tätigkeit als solche erleben, wahrnehmen und bewältigen. Sie können nicht das Gleichgewicht halten auf dem Rad und dann noch auf Zuruf einem Gefahrenpotential ausweichen. Das ist eine Reizüberflutung.
Darf ich mit auf dem Bürgersteig fahren, wenn die Situation unübersichtlich wird?
Seit 2016 dürfen Menschen ab 16 Jahren Kinder bis 8 Jahren auf dem Gehweg begleiten. Früher war das verboten, jetzt dürfen sie es. Allerdings müssen sie sehr auf Fußgänger achten. Auf dem Radweg dürfen Kinder mittlerweile auch unter 8 Jahren fahren.
Wann ist ein Kinderrad verkehrssicher ausgestattet? Welche Features sind gesetzlich nicht zwingend erforderlich aber empfehlenswert?
Wir müssten erst einmal unterscheiden zwischen den Spielzeugrädern und den Kinderrädern. An Spielzeugen wie Laufrad und Dreirad muss kein Licht und keine Klingel dran sein. Und dann sollte man darauf achten, das Rad unfallpräventiv auszustatten. Mit dicken Gummiknaufen an den Lenkerenden, einem Polster über der Lenkermitte und vor allem ohne scharfe Kanten werden ernste Verletzungen verhindert. Wir sollten da nicht am falschen Ende sparen. Kinder wachsen natürlich ständig und wenn man die Fahrräder wirklich anatomisch hinreichend gerecht anschaffen möchte, dann muss man da dran bleiben.
„Kinderräder haben einen sehr niedrigen Wertverlust und lassen sich gut wiederverkaufen.“
Sobald das Kind im Straßenverkehr unterwegs ist, muss das Rad der Straßenverkehrszulassungsordnung entsprechen. Neben Licht, Klingel und zwei unabhängig voneinander funktionierenden Bremsen sind Reflektoren wichtig. Vorne einer in weiß, hinten ein roter, je zwei an den Pedalen und die klassischen Katzenaugen in den Speichen. Noch besser: Kunststoffstäbchen, die eine reflektierende Folie haben. Die sind noch auffälliger. Ein Fähnchen hinten ist sehr sinnvoll, weil es Aufmerksamkeit erzeugt. Gerade, wenn wir auf Gehwegen unterwegs sind, verschwindet das Fahrrad oft hinter einem parkenden Fahrzeug und das Fähnchen macht es dann für die Autofahrer sichtbar. Der Helm muss natürlich sein. Am besten im Fachhandel anprobieren und anpassen lassen. Da würde ich vom Onlinekauf abraten.
Was ist aus Ihrer Sicht der größte Humbug am Kinderfahrrad?
Stützräder. Völlig kontraproduktiv, weil sie im Prinzip die Motorik ausbremsen. Aus dem Fahrrad wird eine Art Dreirad, das Kind benötigt dann keine Balance mehr. Gut gemeint, aber nicht gut gelungen.
Beim Thema Mitnahme von Kindern auf dem Rad sind die Möglichkeiten vielfältig: Anhänger, Kindersitz, Lastenrad, Fahrradkupplung: Ist es Typsache, für welche Lösung man sich entscheidet und welche Transportmöglichkeit ist nach Ihrer Erfahrung die sicherste?
Es hängt vom eigenen Mobilitätsverhalten und dem Investitionspotential ab. Und natürlich davon, was sinnvoll ist. Wenn ich eher seltener mit dem Kind unterwegs bin, dann würde sich ein Anhänger anbieten, der günstiger als das Lastenrad ist. Am wenigsten sicher ist der Kindersitz hinten, obwohl der weit verbreitet und kostengünstig ist. Aber da habe ich das Kind nicht im Blick. Das Lastenrad ist ideal, weil die Kinder vorne sitzen und eine Kommunikation stattfinden kann. Das wäre meine absolute Empfehlung, aber natürlich ist es auch die teuerste Variante.
Die Fahrradkupplung ist auch toll, denn damit kann man lange Touren fahren und die Kinder einfach ankuppeln, wenn sie eine Verschnaufpause brauchen. Aber dafür müssen sie natürlich schon fit genug sein.
Fotos: Verena fotografiert
Das Interview führte: Charlotte Hildebrand
Schöner Beitrag. Ich finde es gut, wenn man Kinder heutzutage möglichst früh für sowas sensibilisiert. Schulwegsicherung ist die eine Sache, das andere ist das sichere Verhalten der Kinder selbst.