Interview mit Anna Schmitz | Begleitung für Mütter & Familien bei Krisen rund um die Geburt
Schwangerschaft und Geburt sind Umbruchzeiten im Leben von Eltern – freudig erwartet aber oft eben auch schwieriger, emotionaler und anstrengender als gedacht. Anna Schmitz ist Psychologin und selbst Mutter von zwei Töchtern – und unterstützt (werdende) Eltern bei psychischen Krisen rund um die Geburt. Warum für sie die Förderung einer sicheren Bindung dazugehört und welchen Tipp für eine gesunde Psyche sie mit euch teilen möchte – erfahrt ihr in unserem Interview.
Liebe Anna, du unterstützt Mütter und Familien bei Krisen rund um die Geburt. Wie kamst du zu diesem Thema?
Während meines Psychologiestudiums habe ich verschiedene praktische Erfahrung in diesem Bereich gesammelt, u.a. in der Familienbildung, der psychosozialen Schwangerschaftsberatung und der Psychotherapie von Kleinkindern. Als es dann bei mir selbst und in meinem Freundeskreis losging mit dem Kinderkriegen, kamen auch die schwierigen Themen immer näher. Ich war sehr erschrocken, dass die große Mehrheit meiner Bekannten von sehr großen Ängsten vor der Geburt und belastenden Geburtserfahrungen berichtete. Ich selbst wurde in meinen beiden Schwangerschaften nie auf meine psychische Gesundheit angesprochen, auch im Geburtsvorbereitungskurs hatte dies keinen Platz. So reifte meine Idee, mich in diesem Bereich selbstständig zu machen und ich besuchte entsprechende Fortbildungen. Als ich mit meiner zweiten Tochter Anfang 2019 schwanger war, wagte ich dann den Schritt. Mein Wunsch ist es, die psychische Gesundheit von Familien in dieser besonderen Phase zu unterstützen – sowohl präventiv als auch in akuten Krisen. Dazu gehört für mich auch die Förderung einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kindern.
Wie hängt eine sichere Bindung denn mit der psychischen Gesundheit zusammen?
Für Kinder ist eine sichere Bindung eine gute Basis für die Zukunft – sicher gebundene Kinder können unter anderem Probleme besser bewältigen, sich besser in andere einfühlen, sind kreativer und flexibler. Für den Aufbau einer sicheren Bindung ist es wichtig, dass die Eltern emotional für ihr Baby da sind, die Signale ihres Kindes wahrnehmen und darauf richtig reagieren. All das fällt Eltern in Krisenzeiten sehr viel schwerer – einfach weil sie mit sich selbst so beschäftigt sind, gedanklich oft abgelenkt sind oder es ihnen schwer fällt, mit ihrem Baby mitzufühlen. Ein Beispiel: Bei einer Mutter löst der Anblick ihres Babys immer wieder sehr belastende Erinnerungen an die Geburt aus. Sie kämpft mit den aufkommenden Bildern und Gedanken, spürt Angst oder Verzweiflung. In diesen Momenten kann sie sich nicht gut um die Bedürfnisse ihres Kindes kümmern. Auf Dauer belastet dies verständlicherweise die Beziehung zwischen den beiden. Um solche Entwicklungen zu verhindern, fördere ich in meiner Beratung den feinfühligen Umgang mit dem Baby und damit die sichere Bindung. Auch die Eltern bekommen so das Gefühl, „Ich kann mich gut um mein Kind kümmern“. Und das schützt wiederum ihre psychische Gesundheit.
So ist die Förderung der Bindung zwischen Eltern und Kindern auch ein wichtiger Hebel für die Prävention – das ist gut wissenschaftlich untersucht und auch deshalb ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit.
Für viele stellt sich im Alltag vermutlich auch die Frage, ob so manche Gefühle und Gedanken noch normal sind oder ob sie doch auf eine psychische Erkrankung hinweisen, oder?
Ja, genau das ist auch eine meiner Aufgaben. Viele trauen sich nicht, über negative Emotionen oder Gedanken zu sprechen, aus Angst vor Verurteilung oder dem Gefühl, als Mutter oder Vater zu versagen. Dabei sind Angst, Sorgen, Wut und Trauer sehr verbreitet und Ausdruck der enormen Umstellung und Anpassung an das neue Leben als Eltern. Oft haben wir ja eine verklärte Idealvorstellung davon, was Elternsein bedeutet und werden dann von der Realität überrascht.
Du berätst überwiegend online – wie kann ich mir das vorstellen und welche Vorteile hat das für Eltern?
Nach einem ersten Kontakt bekommen die Eltern vorab einen Link von mir und können so ohne Kosten und ohne komplizierter Installation eines Programms an einem Videoanruf teilnehmen. Für Eltern bietet die Online-Beratung eine große Flexibilität – gerade im Wochenbett oder mit sehr kleinen Kindern entfällt die Anfahrt und oft kann die Kinderbetreuung im eigenen Zuhause einfacher organisiert werden. Eltern können während des Gesprächs unkompliziert noch ein Fläschchen zubereiten oder auf dem Gymnastikball wippen und fühlen sich oftmals zuhause einfach wohler und sicherer. Außerdem kann ich so auch zeitlich flexiblere Termine anbieten, etwa spät abends oder am Wochenende – was vielen Eltern entgegen kommt. Je nach Thema sind ein oder mehrere Termine sinnvoll, in manchen Fällen biete ich auch eine Anschlussberatung per Mail an – aber immer erst nach vorherigem, persönlichen Kontakt.
Du bist auch auf Instagram aktiv – welchen Wert hat diese Plattform für dich und deine Arbeit?
Instagram ist für mich eine tolle Möglichkeit, um auf die Themen, die mir am Herzen liegen, aufmerksam zu machen. Ich vermittle dort Wissen, kläre über Mythen auf oder spreche Gedanken und Gefühle an, die viele sonst für sich behalten würden. Ich hoffe, dass ich damit Eltern Mut machen kann – sich für die eigene psychische Gesundheit einzusetzen und die Bindung zu ihrem Kind zu fördern. Der Austausch mit Müttern und Eltern macht mir große Freude und ich nehme auch selbst viel davon mit. Natürlich steht Instagram oft auch zurecht in der Kritik, den Anspruch an Mütter und Familien noch zu erhöhen und unrealistische Ideale zu vermitteln. Ich versuche, dem etwas entgegenzusetzen und zu echten, ehrlichen Gesprächen einzuladen.
Kannst du zum Abschluss einen Tipp mit Eltern teilen, wie sie selbst ihrer Psyche etwas Gutes tun können?
Ich kann da gerne die 4S-Regel von Tanja Sahib zitieren: Schlaf, Sport, Sonne und soziale Kontakte. Diese vier Faktoren tragen enorm zur Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens bei und kommen grade bei Eltern mit kleinen Kindern oft zu kurz. Beispielsweise sind die Auswirkungen von Schlafmangel gut untersucht, es kommt zu Konzentrationsschwierigkeiten, Gereiztheit oder Antriebslosigkeit. Da im Zweifel aber zwischen den Folgen von zu wenig Schlaf und einer Depression zu unterscheiden, ist Aufgabe von Fachkräften. Ich würde deshalb gerne noch ein fünftes S ergänzen: das Sprechen über die eigenen Gefühle und Gedanken. Mit dem Partner oder der Partnerin, Freunden und Familienmitgliedern oder eben im Rahmen einer professionellen Beratung. Denn niemand sollte sich alleine fühlen in einer solch turbulenten Zeit, wie es das Elternwerden einfach ist.
Wir freuen uns sehr, dass uns Anna zukünftig als Expertin und Autorin hier auf Mami Connection begleiten wird.
Bei Bedarf kannst du Anna über Ihre Website kontaktieren: http://annaschmitz.de