Martin Becker von Sharky | Über eine Generation Nichtschwimmer

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Um das Seepferdchen zu bekommen muss man 25 Meter schwimmen, vom Beckenrand springen und einen Gegenstand aus dem Wasser holen. Als sicherer Schwimmer gilt man jedoch erst, wenn man das Bronze- oder Silber-Abzeichen gemacht hat. Nur wie soll das in Corona-Zeiten gehen? Mein Sohn Jakob hat zwar das Seepferdchen-Abzeichen, ihm fehlt aber jegliche Praxis. Denn überall sind Schwimmbäder geschlossen und Unterricht fällt aus. Deshalb haben wir als allerersten Mann auf unserem Blog Martin Becker – Inhaber der Schwimmschule Sharky und selbst Vater von 2 Kindern – gefragt, welch großen Einfluss die Pandemie auf die Schwimmfähigkeit unsere Kinder hat:

 

Lieber Martin, bitte stell dich doch kurz vor:

Mein Name ist Martin Becker, ich bin 36 Jahre alt, habe 2 Töchter im Alter von 3 und 5 Jahren. Meine absolute Leidenschaft ist der Sport und dabei insbesondere das Schwimmen. Ich habe jahrelang in der Wasserballbundesliga gespielt und schon mit 12 Jahren als Schwimmlehrerassistent begonnen, in meinem damaligen Verein dem SC Blau Weiss Poseidon Köln. Während meines Studiums der Sportwissenschaften an der DSHS Köln habe ich meine erste eigene Schwimmschule gegründet und nach Aus-/Weiterbildungen verschiedenster Art gemeinsam mit meinen Partnern das „Sharky- Prinzip“ entwickelt.

 

 

Wird Deutschland durch die Pandemie und dessen Folgen zum Nichtschwimmerland?

Deutschland war leider auch schon vor der Pandemie auf dem besten Weg zu einem Nichtschwimmerland. Unzureichende Ausbildungskonzepte in den Schulen und vor allen Dingen fehlende Wasserzeiten für alle Beteiligten haben dazu geführt. Der DLRG, den Vereinen, den Schulen, der Wasserwacht und natürlich auch den Schwimmschulen fehlen einfach Bäder.

Die Corona Pandemie beschleunigt diesen Trend des „Nicht-Schwimmen-Können“ nun extrem und dramatisiert die Situation vor allen Dingen für Kinder in der Schwimmerlernung noch einmal ganz enorm.

 

Und wie gehen die anderen EU-Länder mit der Situation um?

Wir betreuen über 100 Hotels im europäischen Ausland mit unseren Schwimmlehrern. Schon vor der Pandemie hatten wir fast nur deutschsprachige Kunden. In all unseren anderen Nachbarländern ist die Qualität, die Intensität und vor allen Dingen der Zeitaufwand in den Schulen für das Schwimmen ein ganz anderer. Auch während Corona wurden andere Entscheidungen getroffen. In Belgien und Frankreich zum Beispiel war selbst zu Zeiten des Lockdowns der Schwimmbetrieb zumindest für Kinder und Jugendliche möglich.

 

 

Du sprachst von einer Studie aus England zum Chlor-Gehalt des Wassers und dessen positive Wirkung auf den Virus. Magst du das nochmal kurz erläutern?

Zunächst einmal muss man wissen, dass über 90 Prozent der Schwimmbäder in Deutschland das Wasser mit Chlor desinfizieren. Jegliche Krankheitserreger werden so in Sekundenbruchteilen zerstört. Nach anfänglichen Bedenken stellte die Wissenschaft fest, dass gerade die Spike Proteine des Corona Erregers besonders schnell mit Chlor zerstört werden. So wurden zum Beispiel die Handdesinfektionsmittel auch auf Chlorbasis umgestellt.

Eine englische Studie die in Deutschland unter anderem vom Schwimmverband NRW veröffentlicht wurde geht sogar noch weiter. „Durch das tägliche Desinfizieren des Nasen- Mund- Rachenraums mit Chlorwasser könnten die Schwimmer darüber hinaus sogar einen echten Schutz vor einer Covid-19 Infektion erhalten (echte Primärprävention von Covid-19).“. Das bedeutet, dass man nicht nur ständig frische und feuchte Luft atmet, sondern durch das Schlucken und Gurgeln von Chlorwasser sogar bis zu 16 Stunden weder infiziert werden kann, noch infektiös ist.

Damit ist das Schwimmbad aus Infektionssicht sogar sicherer als der „Outdoor Sport“.

 

Seit Beginn der Pandemie musste deine Schwimmschule immer wieder schließen, seit November 2020 sogar dauerhaft. Doch die Betriebskosten laufen weiter. Wie schaffst du es, dich und dein Team weiter zu motivieren und „über Wasser zu halten“?

Das ist sicher aktuell das größte Problem das wir als Firma haben. Mehr oder weniger ein ganzes Jahr konnten meine Schwimmlehrer und ich nicht das tun was wir eigentlich lieben. Viele meiner Studenten und 450 Euro Kräfte erhalten aktuell keine staatliche Unterstützung und mussten uns deshalb verlassen. Mir selber geht das nicht anders, wobei ich auch noch Geld verliere, da die ausgezahlten Hilfen deutlich zu gering sind und bis jetzt zu spät oder gar nicht ausgezahlt werden.

Nur mit bewilligten Krediten, kommen wir durch die Krise.

Seit ein paar Wochen allerdings vermieten wir das Bad zum „Familien-Lehr-Schwimmen“. Dabei werden Kinder durch ihre Eltern und mit kontaktloser Unterstützung meiner Schwimmlehrer wieder ans Wasser gewöhnt. Wir werden mit Anfragen überrannt und müssen einem Großteil der Interessenten leider absagen. Allerdings zeigt uns die riesige Nachfrage, dass der Bedarf absolut da ist und im Vergleich zur „vor Corona-Zeit“ eher größer geworden ist. Ich bin also sehr zuversichtlich, dass nach der Krise zumindest in der Schwimmschule alles wieder anlaufen wird.

 

 

Was sieht der Bund-Länder-Beschluss aktuell vor und was wünschst du dir von der Regierung für die Zukunft?

Ob die Bundesnotbremse wirklich für uns greift, konnte uns bis jetzt kein Jurist und auch kein Ordnungs- oder Rechtsamt eindeutig erklären. Zunächst einmal wünsche ich mir also Rechtssicherheit.

Und dann – und das ist viel wichtiger – wollen wir als Kinderschwimmanbieter in unserer Bedeutung für die Gesellschaft auch so bewertet werden. Schwimmen ist halt nicht ein reines Freizeitvergnügen sondern für Nichtschwimmer „überlebenswichtig“.

Im ersten Lockdown sind wir zum Beispiel mit Thermen und Spaßbädern gleichgesetzt worden. Das war nicht in Ordnung. Obwohl nach den neusten Erkenntnissen ja sogar diese Einrichtungen sicher wären.

Denn, genau so wie die Vereine, können wir zu jeder Zeit eine 100% Kontaktnachverfolgung gewährleisten, weil alle Kursteilnehmer mit den entsprechenden Daten verpflichtend bei uns hinterlegt sind.

Und zu guter Letzt möchte ich meinen Lehrern ein Impfangebot machen können, um einen wirklich 1000 prozentigen Schutz nicht nur für sie, sondern auch für unsere Schwimmkinder zu haben. Abstand und Maske sind beim Schwimmenlernen nicht möglich.

 

Das hast Du sehr treffend formuliert. Ist der traurige Rückstand an Nichtschwimmern bei den Kindern denn überhaupt noch aufhaltbar?

Das ist sehr schwer zu beantworten. Die Schwimmschulen und Vereine werden es unter gar keinen Umständen alleine hinbekommen. Es geht nur, wenn zunächst einmal die Inhalte des Schulschwimmens vereinheitlicht werden und die Quantität aber auch die Qualität verbessert wird. Lehrer müssten dafür wirklich nachhaltig ausgebildet werden und brauchen auch dann noch externe Unterstützung beim Unterricht.

 

Die Schulklassen sind für einen Lehrer allein einfach zu groß, um individuell trainieren zu können. Bei uns kümmert sich ein Schwimmlehrer um maximal 4 Kinder.

 

Darüber hinaus müssten die Kommunen in ihren Bädern auch deutlich mehr Zeiten für die Schwimmausbildung freigeben und damit auf voll zahlende Kunden verzichten. Eltern müssen sich auch darauf einstellen, dass das Schwimmenlernen noch mal teurer wird.

 

das würde sicherlich jeder von uns „in kauf nehmen“. Hast du zu guter letzt Tipps für uns Eltern, wie wir mit der Situation des Nicht-Schwimmens bzw. Verlernens am besten umgehen können, um unsere Kinder vor dem Ertrinken zu schützen?


Das Gefühl der Sicherheit ist dabei leider fehl am Platz. Kinder sind erst ab dem Silberabzeichen halbwegs wassersicher, allerdings auch nur dann, wenn alles in der Umgebung stimmt. Leider sind auch viele Eltern nur bedingt wassersicher, eine Welle ins Gesicht, eine Schlingpflanze am Bein, oder ein panisches Kind bringen viele Eltern schon in Gefahr.

 

Deshalb habe ich 5 wichtige Tipps:

 

1) Niemals in unbeaufsichtigte Gewässer gehen.

Auch wenn über Corona gerade alles geschlossen ist. Bitte keine Schlupflöcher suchen, sondern in einer sicheren Umgebung starten. Gerade der Start ist entscheidend.

 

2) Die Schwimmausbildung wirklich Profis überlassen.

Beim Schwimmen geht es nicht nur um die vermeintlich leichte Bewegungsausführung, sondern auch um das Lösen von Ängsten. Egal ob Verein oder Schwimmschule, die Trainer und Lehrer wissen in der Regel ganz genau was sie tun. Wir haben leider viel zu häufig Kinder, die mit Freunden und Verwandten vermeintlich das Schwimmen gelernt haben. Häufig haben sie aber in Wirklichkeit Panik vor Wasser, oder aber so grobe Fehler in der Bewegungsauführung, dass diese fast nicht mehr zu korrigieren sind.

 

3) Emotionen gehören zum Schwimmen dazu.

Ängstliche/traurige Kinder, die am Anfang eines Kurses, oder kurz vor dem selbständigen Schwimmen die Lust verlieren und schon zu Hause quengeln, weil sie nicht ins Wasser wollen kommen immer wieder vor. Das hat in der Regel nichts mit dem Schwimmtrainer zu tun, sondern mit der Angst vor den eigenen Möglichkeiten.

Kinder sollten bis zum Start des Schwimmkurse (als fast ihr ganzes (kurzes) Leben) vorsichtig im und am Wasser sein. Im Kurs müssen sie nun einem Fremden vertrauen und sich und ihren eigenen Fähigkeiten. Das klappt leider nicht immer direkt, erst recht nicht, wenn die Eltern die Kinder nicht von der Optionslosigkeit des Schwimmenlernens überzeugen können.

 

4) Schwimmabzeichen können nur Anhaltspunkte für einen Leistungsstand sein.

Eltern müssen lernen den wahren Leistungsstand und damit auch das Sicherheitslevel der Kinder einzuschätzen.

 

5) Wasser ist niemals sicher.

Immer vorsichtig und vor allen Dingen realistisch bleiben und versuchen die Umgebung entsprechend wahr zu nehmen. Rücksicht und Vorsicht nicht nur bei den eigenen Kindern, sondern auch bei Fremden.

Wow, danke Martin für die tollen und ehrlichen Tipps, deine Einsichten und Gedanken zu diesem wichtigen Thema.

Fotocredit: © Christian Staaden & privat

Sabine Gärtner
Mama-Sein ist für mich eine unglaubliche Bereicherung. Aufregend und wunderschön zugleich! Ich habe Marketing und Kommunikation studiert und anschließend bei einem Label von Sony Music sowie bei einer Live-Marketing Agentur gearbeitet. Seit der Geburt meines Sohnes blogge ich über unsere Reisen und über das Leben mit Kind. Ich arbeite als Dozentin an einer Akademie und bin in Teilzeit als Marketing Managerin tätig. Mit meinem Sohn lebe ich in Köln. Ich bin gern zuhause, reise aber mindestens genau so gerne. Ich bin ein Kind der Achtziger. Neben einer Leidenschaft für Musik habe ich eine Schwäche für gutes Lakritz. Wasser ist mein Element (schwimmen, surfen, tauchen). Besonders auftanken lässt mich die Ruhe und Weitsicht am Meer - hier fühle ich mich richtig frei. Ich bin ein Sommer-Kind, liebe aber ebenso die besinnliche und gemütliche Weihnachtszeit. Mit Yoga kann ich den Herausforderungen des Alltags ein Stück weit entfliehen und den Moment in vollen Zügen genießen.

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